Die Treppe hinauf … zu einem immer offenen Ohr

Schwester M. Emilie Engel wäre am 6. Februar 2023 130 Jahre alt geworden. Sie war eine engagierte Lehrerin in einem sozialen Brennpunkt im Ruhrgebiet. Später wurde sie Mitbegründerin der Schönstätter Marienschwestern. Zeitlebens litt sie an Tuberkulose, die sie sich als junge Lehrerin bei nachmittäglichen Hilfsdiensten in einer armen Familie zugezogen hatte. Trotz einiger schmerzhafter Operationen, die die Tuberkulose behandeln sollten, führte sie bis fast zu ihrem Tode im Jahr 1955 die große „Providentia“-Provinz (Vorsehung) der Schönstätter Marienschwestern mit zeitweise 38 Niederlassungen. Durch die Begegnung mit Pater Kentenich und in der Geborgenheit des Liebesbündnisses konnte sie früh in ihrem Leben entwickelte Ängste vor einem strengen Richtergott, wie er damals gelehrt wurde, überwinden.

 

Schwester Emilie – ein echtes Vorbild für heute

 

In unserer heutigen Zeit, einer Zeit, in der sich das Lebenstempo im Vergleich zu früheren Jahrzehnten verzwanzigfacht hat, in der wenige bemüht sind, sich für andere Zeit zu nehmen, in der jedoch der Wunsch nach Gespräch und Austausch, gegenseitiger Unterstützung und Gehört werden immer größer wird, können Menschen wie Schwester Emilie ein echtes Vorbild sein. Schwester Theres-Marie Mayer, die von ihrer Gemeinschaft den Auftrag hat, über Schwester Emilie zu forschen und ihr Lebensbeispiel zu verbreiten, lebt heute selbst im Haus Providentia, dem Haus in Koblenz-Metternich, indem Schwester Emilie lebte. Sie erzählt:

Zeit für andere und ein Ohr für ihre Nöte

Wer nach Haus Providentia kam, suchte zuerst den Weg die Treppe hinauf zum Zimmer von Schwester M. Emilie. Jemand formulierte es so: „Egal, was sie gerade am Arbeiten war, sie hatte immer Zeit.“ Und ein Ohr für die Menschen, die zu ihr kamen. Noch nach Wochen hat sie manchmal nachgefragt, wie es nun in dieser oder jener „Sache“ steht, wie sie sich weiterentwickelt hat. Eine Mitschwester berichtet von einer ihrer letzten Begegnungen mit Schwester M. Emilie, als diese kaum noch sprechen konnte: „Ihre letzten Worte an mich waren: ‚Ich bete für Dich! Immer! Hörst Du!

Ein „heißer Draht“ nach oben

Schwester Emilie hatte nicht nur ein Ohr für die Menschen, sie trug deren Sorgen Gottes Ohr zu und bat um Antworten, weiß Schwester Theres-Marie zu berichten. „Sie war völlig überzeugt, dass Gottes liebende Macht, das Schicksal der Menschen und den Lauf der Weltgeschichte lenkt: ‚Gott hat unser Leben in der Hand, und in seiner Liebe fügt er alles zu unserem Besten“, sagte sie oft den ihr Anvertrauten.“

Abwägen, nachhören, entscheiden

In einer Zeit wie der unsrigen, in der schnelle Entschlüsse erwartet und oft unüberlegt und voreilig getroffen werden, kann Emilies Umgang mit Entscheidungen zum Nachdenken anregen: „Sie war kein Mensch schneller Entschlüsse. Sie wollte erst hören, was Gott zu ihr spricht. Sie hat abgewogen, was Menschen ihr sagten, hat gefragt, was wohl Gottes Wille ist und dann ihre Entscheidungen gefällt“, so Schwester Theres-Marie.

Vertrauen und Geborgenheit als Gegenmittel zur Angst

Heute in diesen unruhigen und unsicheren Zeiten nimmt die Angst, geschürt noch von der Dauerverfügbarkeit sozialer Medien, als Lebensgefühl ständig zu. Schwester Emilie wusste, das Leben ist ein Wagnis. Ich kann mich nicht zurückziehen. Im Vertrauen auf Gott, der es mit jeder und jedem von uns gut meint, kann ich das Wagnis eingehen, loslassen und springen. Schwester Theres-Marie: „Wer loslässt, darf die Erfahrung machen, in Gottes festen Armen zu landen. Diese Bereitschaft, sich auf neue Lebensumstände einzulassen, nicht alles selbst regeln zu wollen, den Sprung zu wagen, schenkt eine neue Lebensqualität, das hat Schwester Emilie erfahren.“

Engagierte Fürsprecherin bei Gott

Dies wolle Schwester Emilie auch nach ihrem Tod weitervermitteln. Sie sei eine engagierte Fürsprecherin bei Gott. „Wer sich und seine Anliegen ihr anvertraut“ – so hat es Schwester Theres-Marie bei vielen Menschen erfahren und miterleben dürfen – „erfährt Hilfe, wird wagemutiger im Vertrauen auf Gott, tragfähiger in Leid und Not und kann leichter Ja sagen zu Gottes Plänen, weil er in ihnen Liebespläne erkennt.“ Und sie wirbt: „Lassen wir uns von Schwester Emilie an die Hand nehmen in dem Anliegen, das momentan unser Herz bewegt.“

Claudia Brehm